Die Schlagzeilen-Souffleure

Wie kommen Journalisten an die grossen Geschichten? PR-Berater Sacha Wigdorovits weiss es.

Florian Basil
6 min readMay 27, 2021

Es war ein sonniger Mittwochmorgen, halb neun, ich sass im Tram in Richtung Zürich Tiefenbrunnen. Ein ungutes Gefühl machte sich in meinem Magen breit, und es war nicht der Espresso auf den leeren Magen. Es war eine Nervosität, wie man sie von Bewerbungsgesprächen oder Prüfungen kennt. Ich war auf dem Weg zu einem Interview.

Hätte ich mich zuvor nicht über meinen Gesprächspartner informiert, hätte ich auf der Fahrt zu ihm wohl einfach weitergedöst. Doch was über Sacha Wigdorovits geschrieben wird, bleibt im Kopf hängen: Der «harte Hund», der «Mann für die unfeine Arbeit», der «Tausendsacha» mit den fragwürdigen Methoden und den angedrohten Klagen, der Bridge-Topspieler mit der «eruptiv-cholerischen» Art und der «Hartnäckigkeit bis zur Selbstbeschädigung». Wer über Wigdorovits liest, kriegt den Eindruck, er sei die Inkarnation von Kevin Spaceys kaltblütigem Frank Underwood in der Politserie «House of Cards». Dass seine Partnerin Ingrid Deltenre Spaceys Seriengattin Robin Wright überraschend ähnlich sieht, verstärkt den Eindruck nur zusätzlich.

«Was über mich Negatives geschrieben wird, kommt von drei oder vier Journalisten. Alle anderen wissen, dass dies nicht stimmt.» Wigdorovits persönlich kennenzulernen ist angenehm. Der Mann ist schliesslich immer noch PR-Berater und nicht Auftragsmörder. Aber in Sachen PR macht ihm keiner was vor. «Berater wie ich, die helfen mit einer spannenden Story in die Medien zu kommen, davon gibt es auf unserem Level im Wirtschaftsbereich in der Schweiz vielleicht fünf. Plus nochmals drei bis fünf im Politikbereich», sagt Wigdorovits. Seine Mandanten-Liste liest sich wie eine Mischung aus Opernball-Gästeliste und Börsenindex-Komponenten: Ex-UBS-Verwaltungsratspräsident Peter Kurer, Ex-Swiss- und Ex-GC-Mann André Dosé, Carl Hirschmann, aber auch Firmen von Axpo bis Züblin, darunter British American Tobacco, Media Markt, Hublot, Phonak und verschiedene Privatbanken. Seine Mitstreiter in der Königsklasse der PR: Die Konsulenten, Farner, Lemon Grass und die Dynamics Group.

Ein Journalist, der spannende Geschichten zur Schweizer Wirtschaft schreiben will, muss irgendwann Sacha Wigdorovits anrufen. Oder besser gesagt, Wigdorovits ruft ihn an. «Sein Geschäftsmodell besteht darin, seinen Kunden die Markenpflege in der Öffentlichkeit zu verschaffen», sagt Hannes Britschgi, Leiter der Ringier Journalistenschule. Viele kennen Britschgi noch mit der Flaschenbodenbrille aus seiner Zeit bei der Rundschau. Oder als Chefredaktor von Facts oder Sonntagsblick — auch Britschgis gibt es in der Schweiz nicht viele. «Die Journalisten sind für Wigdorovits Erfüllungsgehilfen», sagt Britschgi. Das Telefon klingelt, Wigdorovits bietet eine Story an, und man nimmt sie oder eben nicht. «Wigdorovits ist sehr direktiv. Zeigen Journalisten kein Interesse an seiner Story, kann er recht aggressiv reagieren, erzählen Kollegen. Er fackelt nicht lange, wenn es darum geht, wie die Geschichte zu laufen hat. Da ist er sehr direkt und brutal ehrlich», so Britschgi weiter. Beziehungen zur Schreiberzunft hat Wigdorovits als ehemaliger Journalist bei Tages-Anzeiger und Sonntagszeitung, stellvertretender Chefredaktor der Luzerner Neusten Nachrichten, ehemaliger Chefredaktor des Blicks und Mitbegründer der Gratiszeitungen 20 Minuten und .ch zur Genüge.

«Es passiert immer aus Eigeninteresse»

Sein Modell funktioniert, nicht nur in der Schweiz. Mehr noch: Journalisten sind auf Leute wie Wigdorovits angewiesen. Laut Kevin Roose, Journalist beim New York Times Dealbook, kommen die grossen Stories, die Primeurs, nur zustande, weil ein Insider aus Eigeninteresse einem Reporter Insiderinfos zusteckt. Dass ein Journalist in Eigenregie etwas aufdeckt, passiere so gut wie nie.

Will ein Unternehmen seinen Wettbewerber anschwärzen oder die Reaktion der Börse auf einen Übernahmekandidaten testen, steckt es seinem Lieblingsreporter einen Happen Infos. Beide Seiten erhalten, was sie wollen: Die Firma die Aufmerksamkeit, der Journalist den Primeur. Das funktioniert in der Schweiz genau gleich. «Es wird nie etwas aus altruistischen Motiven gesteckt. Es passiert immer aus Eigeninteresse. Als Journalist muss man sich natürlich fragen: Wie werde ich instrumentalisiert?», sagt Britschgi. Wigdorovits stimmt zu: «Neuneinhalb von zehn heissen Stories, die ich in meiner Zeit als Journalist hatte, waren darauf zurückzuführen, dass jemand auf mich zukam.»Hinter den Steuerdelikten der UBS, der Affäre Mörgeli, dem Rücktritt von Nationalbankpräsident Hildebrand oder der subventionierten Wohnung von SVP-Politikerin Schlatter steckt immer jemand, der von den Schlagzeilen profitiert: etwa ein eigener Mitarbeiter, eine gekränkte Kollegin, ein politischer Gegner, ein Wohnungssuchender oder vielleicht einfach eine Person mit ausgeprägtem Gerechtigkeitssinn. Das Ziel der Journalisten ist es, zur Anlaufstelle dieser Insider zu werden. Lukas Hässig hat seinen Blog Insideparadeplatz konsequent um solche Informationen und Gerüchte aufgebaut; mit dem Coup der 72-Millionen-Abfindung von Daniel Vasella hat er sich den Wirtschaftsknüller des Vorjahres gesichert. «Daran ist nichts auszusetzen, solange der Journalist die Informationen kritisch überprüft und sich nicht zum Sprachrohr machen lässt», sagt Wigdorovits.

In Kombination mit dem Aufstieg der sozialen Medien klingt dies nach guter Musik für Journalisten: Wenn jeder seine Meinung unkontrolliert und unüberlegt in die Internetsphäre rauspusten kann, sollten sich Insiderinformationen einfacher finden lassen. Auf der Gegenseite wird es für Unternehmen, Parteien aber auch Private zunehmend schwieriger, das Image und den Kommunikationsfluss zu kontrollieren.

Die Unternehmen haben darauf reagiert und finanzieren inzwischen eine Armee von PR-Leuten für das Schreiben der Schlagzeilen. «Nett ausgedrückt ist mein Job im Marketing und Public Relations», schreibt Ryan Holiday in seinem Buch «Trust Me, I’m Lying». «Das ist aber nur ein höflicher Anstrich für eine harte Wahrheit. Ich bin ein Medienmanipulator — ich bin bezahlt dafür, andere hinters Licht zu führen.» Das Buch liest sich wie eine Anleitung zu maximaler medialer Aufmerksamkeit. Wigdorovits betont, dass er niemals lüge, und er empfiehlt dies auch seinen Kunden. Aber auch er hat ein Playbook mit 30 Tipps für den Umgang mit den Medien geschrieben, mit Leitsätzen wie «Journalisten sind Geschäftspartner» oder «Versuchen Sie nie, die Medien zu kontrollieren oder zu instrumentalisieren». «Ich weiss, wie das Spiel funktioniert. Ich habe es 20 Jahre als Journalist selber gespielt», so Wigdorovits.

Wer sind die wahren Medienmacher?

Holidays Buch kam vor zwei Jahren heraus, hätte aber genauso gut vor 20 Jahren publiziert werden können. Schon als die Pressemitteilungen noch per Fax versendet wurden, war für René Grossenbacher klar, dass auch in der Schweiz die Informationen nur noch von der PR-Industrie produziert werden. Dem Journalismus obliege nur noch die Selektion des servierten PR-Sortiments. Wenn überhaupt. Laut Wigdorovits verhalten sich manche Journalisten indessen wie Anzeigenverkäufer. «Einige Journalisten lehnen eine gute Produktestory ab mit der Begründung: Die inserieren nicht bei uns, da machen wir nichts drüber. Das kommt selbst in den grössten Medienhäusern vor», sagt der PR-Mann. Auch er hat im Rahmen von Medienpartnerschaften schon Anzeigen finanziert. Mediensoziologe Kurt Imhof bläst heute ins gleiche Horn wie damals Grossenbacher; Grossenbacher hat seine Studie «Die Medienmacher» von 1986 dieses Jahr neu aufgelegt.

Die Journalisten beklagen sich über die Kommunikationsberater, die zwischen sie und die interessanten Persönlichkeiten gestellt werden; die PR-Leute sehen das Problem beim Journalismus. «Das Problem ist nicht die Professionalisierung der Kommunikation auf Unternehmerseite, das Problem ist der Mangel an professioneller Weiterbildung auf der Medienseite. Die grossen Verleger vernachlässigen samt und sonders die Weiterbildung ihrer Journalisten», sagt Wigdorovits. Der Spiess der Journalisten wurde ungleich kürzer, die Lohnschere grösser: Ein guter PR-Berater hat einen Stundenansatz wie ein Anwalt, während sich der Stundenlohn der Journalisten in den letzten Jahren eher jenem der Fliessbandarbeiter angenähert hat.

Einen gesteuerten Newsfilter gibt es nicht ohne Risiken. Ein Insider oder ein PR-Berater will in erster Linie seine Botschaft platzieren. Fällt ein Bericht einseitig zu den eigenen Gunsten aus, hat er wenig Anreize, die Einseitigkeit auszugleichen. Solche Einseitigkeit bekam Beat Schillig, Gründer des Instituts für Jungunternehmen (IFJ), dieses Frühjahr zu spüren. In einem von Chefredaktor Arthur Rutishauser verfassten Artikel der Sonntagszeitung wurde Schillig beschuldigt, bei der Investition in Jungunternehmen von Insiderwissen profitiert zu haben. Schillig sprach von Rufmord und unterschlagenen Fakten und konnte sich bei der Zeitung ein Interview und die Zusicherung über vermehrte Berichterstattung über Jungunternehmen aushandeln. «Die Leute fragen sich, ob es eine Verbindung gibt zwischen Herrn Rutishauser und dem Konkurrenzunternehmen von Schillig, der Firma Startups», heisst es in einem Artikel auf mediainjustice.com. Es werden vier Indizien aufgelistet und neben dem CEO des Konkurrenten Startups eine weitere persönliche Verbindung genannt: Sacha Wigdorovits. Dieser ist nicht nur im Verwaltungsrat der Startups-Muttergesellschaft, sondern auch bestens bekannt mit Arthur Rutishauser.

«Ich kann Ihnen nicht sagen, weshalb die Sonntagszeitung diese Story gemacht hat», sagt Wigdorovits. «Die Franzosen sagen: Qui s’excuse, s’accuse — wer sich entschuldigt, klagt sich selber an. Ich kenne Herrn Schillig nicht, aber sein unkontrollierter polemischer Rundumschlag scheint mir ein verzweifelter Versuch, von seinem eigenen, offenbar fragwürdigen Verhalten abzulenken.»

Dieser Artikel erschien erstmals am 10. Juni 2014 im PUNKT Magazin, http://punktmagazin.ch

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